Am Forum Blockchain for Business (B4B) der Fachhochschule St.Gallen diskutierten Experten aus Wissenschaft und Praxis mit Unternehmerinnen und Unternehmern über die Chancen und Risiken von Blockchain. Eines ist klar: Das Potenzial der digitalen Technologie geht weit über Kryptowährungen hinaus.
Marion Loher Über Blockchain wird viel diskutiert und das nicht nur in Fachkreisen. Immer mehr Unternehmen beschäftigen sich mit der digitalen Technologie und arbeiten an ersten Anwendungen. Für Expertinnen und Experten hat die Blockchain-Technologie ein ähnlich revolutionäres Potenzial wie das Internet. Doch was genau ist Blockchain? Worauf muss ein Unternehmen bei der Umsetzung einer Blockchain-Anwendung achten und wie funktioniert die Finanzierung mittels Initial Coin Offering (ICO)? Diese und andere Fragen standen im Zentrum des Forums Blockchain for Business (B4B) vom vergangenen Donnerstag, 22. November, in St. Gallen. Referenten aus Wissenschaft und Praxis berichteten den über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern von ihren Erfahrungen mit der vielversprechenden «Technologie der Zukunft» und gaben Tipps für eine mögliche Umsetzung. Moderator war der Fernsehjournalist Reto Brennwald, organisiert wurde der Anlass vom Institut für Unternehmensführung der Fachhochschule St.Gallen IFU-FHS. Eigenschaften können Vertrauen schaffen «Blockchain kann als verteilte Transaktionsdatenbank bezeichnet werden», sagte Professor Ernesto Turnes, Leiter des Kompetenzzentrums für Banking und Finance der FHS, in seinen einleitenden Worten. Er bezeichnete Verfügbarkeit, Eigentumssicherung, Unveränderbarkeit, Überprüfbarkeit und Skalierbarkeit als die fünf Anforderungen an ein Transaktionssystem. Über diese Anforderungen und wie sie erreicht werden, etwa durch Kryptografie oder Hashing, könne Vertrauen geschaffen werden. Bezüglich der Tokens, also der Wertmarken, die in ICOs verkauft werden, sieht Ernesto Turnes vor allem in den Anlage-Tokens respektive Asset oder Security Tokens «enormes Potenzial». Sie repräsentieren Vermögenswerte wie Aktien, Obligationen oder Immobilien. Die gleiche Meinung vertrat auch Roger Bigger, Mitbegründer der Crowdli AG, einer Plattform für Immobilien-Crowd-Investments, und geschäftsführender Inhaber der Azemos Gruppe. «Security Tokens können die Fondswelt grundlegend revolutionieren», sagte er. «Sie erschaffen völlig neue Konzepte der Geldanlage: eine verbesserte Partizipation, höhere Flexibilität und geringere Kosten.» Aber, fügte er hinzu, sie seien auch viel komplexer zu verstehen. Und hier sieht Roger Bigger die grosse Herausforderung: «Dies einer breiten Masse zu erklären, ist schwierig.» Rechtsanwalt Thomas Müller von Walder Wyss Rechtsanwälte in Zürich ordnete die rechtliche Qualifikation der Tokens ein, was ziemlich komplex und je nach Token etwas anders ist. Als grosses Problem bezeichnete er den Sekundär-Markt: Die Tokens könnten teils nur beschränkt gebraucht werden und die Nationalbank habe derzeit «null Interesse» an einem digitalen Franken. Prozesse optimieren, Kosten sparen Die n’cloud.swiss AG, ein Anbieter von Cloud-Computing-Lösungen, setzte Anfang 2018 auf Blockchain und führte einen ICO durch. Bereits nächstes Jahrs soll der nächste ICO folgen... Gemäss Chief Marketing Officer Pascal Dossenbach eignet sich Blockchain für «jene Unternehmen, die ein Produkt oder eine Dienstleistung anbieten wollen, für die es auch einen Markt gibt». Wichtig sind für ihn eine «seriöse Planung mit realistischen Zielen» und ein «ICO Whitepaper, das wie ein Businessplan daherkommt, um Investoren zu überzeugen». Für Pascal Egloff, Dozent und Projekt Manager am Kompetenzzentrum für Banking und Finance der FHS, «braucht nicht jedes Unternehmen zwingend eine Blockchain, es ging ja bisher auch ohne». Aber fast jedes Unternehmen könne die Technologie nutzen. «Die Frage ist nur, ob es sich auch lohnt», sagte er. Blockchain diene oftmals als Katalysator, um sich Gedanken über die Digitalisierung zu machen. Ähnlich sieht es Ulrich Schimpel, CTO Europe Team & IBM Research, Zürich: Die Blockchain-Lösung bringe nur dort etwas, wo sie besser sei als der bestehende Prozess. Werde die neue Technologie dann allerdings angewendet, könnten Prozesse optimiert und Kosten gespart werden. Heute wird Blockchain nicht nur im Bankwesen eingesetzt, sondern auch im Gesundheitswesen, bei Versicherungen und im Logistik- und Verkaufsbereich. Eine unterschätzte Technologie Vitus Ammann war jahrelang im Zuger Crypto Valley unterwegs und ist jetzt Berater Digitale Transformation der SBB. Im Experten-Panel sagte er: «Wir stehen mit der Blockchain-Technologie noch ganz am Anfang, etwa dort, wo wir mit dem Internet 1995 standen.» Er traut der Technologie einiges zu, mit vergleichbaren Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft wie beim Internet. Ähnlich sehen es Nick Beglinger, CEO Stiftung Cleantech21, und Roman Schnider, Leiter Prüfung Blockchain-Kunden bei PwC Schweiz. «Blockchain wird heute noch stark unterschätzt», sagte Nick Beglinger und Vitus Ammann glaubt, dass Wertschriften in zehn Jahren bereits grösstenteils über Tokens gehandelt werden und nicht mehr über die bestehenden Systeme. Wird es die Banken dann überhaupt noch geben? «Ich denke schon», sagte Roman Schnider, «aber ihr Aufgabenbereich dürfte sich verschieben.» Für Stefan Jeker, Leiter des Innovations-Labors von Raiffeisen St.Gallen, ist eine der grossen Herausforderungen der Zukunft, in Ökosystemen und über die Prozesse hinaus zu denken. «Die Blockchain-Technologie wird unser Leben verändern, und wir können uns dadurch auf das konzentrieren, was unser Leben lebenswert macht.» Bei all den Entwicklungen rund um Blockchain ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Deshalb haben Ernesto Turnes und Pascal Egloff vom Institut für Unternehmensführung IFU-FHS ein Lehrbuch unter dem Titel «Blockchain für die Praxis. Kryptowährungen, Smart Contracts, ICOs und Tokens» geschrieben. Gleichzeitig bieten sie massgeschneiderte Referate sowie unternehmensspezifische Workshops an und haben das Forum Blockchain for Business (B4B) organisiert.
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Hamburg: Was ist der Unterschied zwischen einer Blockchain und einer herkömmlichen Datenbank? Wie praktikabel ist die Technologie und macht es Sinn, sie im eigenen Unternehmen einzusetzen? Diese und andere Fragen rund um das Thema Blockchain beantworten Sebastian Förtsch und Martin Spickermann, Innovationsexperten bei TÜV NORD und Referenten der TÜV NORD Akademie.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen der neuen Form der Datenbank und den bisherigen Modellen, ist die Verteilung der Verantwortung. Herkömmliche Datenbanken sind zentralisiert aufgebaut. Im Gegensatz dazu ist eine Blockchain dezentral organisiert. Das heißt, jeder Teilnehmende ist zeitgleich auch Teilhaber des Systems und kann jederzeit alle hinterlegten Daten einsehen. Das funktioniert so: Eine Blockchain ist eine Kette („chain“) aus chronologisch aneinandergereihten Blöcken. Jeder einzelne Block besteht aus einer gewissen Anzahl an Transaktionen. Das können beispielsweise Überweisungen sein, wie im Fall der Kryptowährung Bitcoin, oder aber auch verschiedene Informationen, die ausgetauscht werden. Wie viele Transaktionen maximal in einen Block passen, ist im Regelwerk der jeweiligen Datenbank festgelegt, das von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu Beginn ausgehandelt wird. Ein Block wird abgeschlossen, indem einer der Teilnehmenden den sogenannten Hash errechnet. Der Hash ist eine Zahlenkette, die dem Block einen eindeutigen Wert zuordnet. Um die Blöcke miteinander zu verketten, ist der Hash am Ende des einen Blocks auch immer der Start-Hash des darauffolgenden Blocks. Da der Hash von den Netzwerk-Teilnehmern selbst errechnet werden kann, können alle Beteiligten die Transaktionen leicht überprüfen und bestätigen. Durch diese Systematik wird eine zentrale Instanz obsolet – das Netzwerk funktioniert dezentral. Blockchain – Ist das sinnvoll? „Häufig wollen Unternehmen eine Blockchain einsetzen, obwohl die aktuelle Herausforderung mit einer normalen Datenbank viel besser gelöst werden könnte“, sagt Martin Spickermann, Innovationsmanager im Corporate Center Innovation bei TÜV NORD. „Blockchain ist ein Lösungsmodell für ein sehr spezifisches Problem. Zentrale Instanzen innerhalb einer Datenbank sollen abgeschafft werden. Die Frage, die ich mir als Unternehmen also stellen muss, ist: Ist diese Lösung für mein aktuelles Problem die passende?“, ergänzt Sebastian Förtsch, Leiter des Vorstandsbüros der TÜV NORD GROUP. Drei Bedingungen müssen laut der beiden Experten erfüllt sein, damit die neue Technologie zum einen funktionieren und zum anderen auch sinnvoll eingesetzt werden kann. Als Basis werde ein Ökosystem benötigt, in dem grundsätzlich Transaktionen oder ein Informationsaustausch zwischen den Beteiligten stattfindet. Außerdem müsse ein Sachverhalt betroffen sein, der alle interessiert. Um darüber hinaus Aktivität innerhalb des Netzwerks zu generieren, seien Teilnehmerinnen und Teilnehmer notwendig, die den Zustand des Sachverhalts aktiv verändern. Ein Mehrwert entstehe dabei, wenn es allen Teilnehmenden wichtig ist, darauf vertrauen zu können, dass der Zustand innerhalb des Netzwerks korrekt ist. Zur Veranschaulichung: Ein Car-Sharing-Unternehmen bietet seinen Kunden an, sich verschiedene Autos für begrenzte Zeit auszuleihen. Die Transaktion in diesem Fall ist also der Tausch beziehungsweise das Teilen eines Autos. Damit ist bereits ein Ökosystem für eine Blockchain gegeben. Innerhalb dieser Datenbank wird gespeichert, wo welches Auto steht, ob es beispielsweise vollgetankt ist und beliebige weitere Informationen. Darüber hinaus haben auch die Teilnehmenden ein Interesse daran diese Informationen einsehen zu können: Sie erhalten Hintergrundinfos über die Vorgeschichte des Autos, dessen aktuellen Zustand und vieles mehr. Die Voraussetzungen für eine Blockchain sind gegeben, sofern sich eine interessierte Gruppe findet, welche die finanziellen Mittel zur Entwicklung bereitstellt. Chancen und Herausforderungen der neuen Technologie Bei der Frage, wie die neue Technologie Prozesse verändern und gegebenenfalls sogar obsolet machen wird, sind sich Experten uneinig. „Blockchain wird eine ähnliche Revolution des Datenwesens sein wie vor einigen Jahren das Internet. Viele der Transaktionen, die aktuell noch über konventionelle Datenbanken laufen, werden meines Erachtens nach durch das neue System ersetzt werden“, prognostiziert Förtsch. Die neue Form der Datenbank könnte viele Abläufe sowohl konsistenter als auch effizienter und damit kostengünstiger gestalten. Allerdings handelt es sich bei diesem Ausblick um einen Idealzustand, dessen Umsetzung mit vielen Herausforderungen verbunden ist. Grundsätzlich ist dieser Zustand aber möglich und vor allem vorteilhaft. Spickermann dagegen zeigt sich zurückhaltender in seiner Prognose: „Eine große Herausforderung beim Aufbau einer solchen Struktur, ist der enorme Aufwand“, so der Experte. „Um ein entsprechendes Ökosystem etablieren zu können, wird eine interessierte Gruppe benötigt, die die erforderlichen Kapazitäten aufbringen kann und will. Das müsste ein Verbund mehrerer Unternehmen der gleichen Branche sein. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass sich viele Unternehmen diese Mühe machen werden“, ergänzt er seine Einschätzung. Insgesamt besitze die Blockchain-Technologie das Potenzial viele Bereiche umzustrukturieren und Intermediäre auszumustern. Offen bleibe allerdings die Frage, welche Branchen sich in diese Richtung entwickeln werden und in welchem Ausmaß das der Fall sein wird. Die TÜV NORD Akademie bietet einen neuen, eintägigen Infoworkshop mit Sebastian Förtsch und Martin Spickermann an. Zunächst in Hamburg, Hannover und Essen; weitere Orte sollen folgen. Mehr unter: https://www.tuev-nord.de/weiterbildung/seminare/Blockchain/. Weitere Informationen zum Thema Blockchain: https://www.tuev-nord.de/explore/de/entdeckt/wie-blockchain-unser-leben-umkrempeln-koennte/. Über die TÜV NORD GROUP: Als anerkannter Technologie-Dienstleister stehen wir weltweit für Sicherheit und Vertrauen. Dabei haben wir die digitale Zukunft fest im Blick. Unabhängige Ingenieure und IT-Security-Fachleute bieten exzellente Lösungen für Sicherheit, Qualität und eine hervorragende Position im Wettbewerb. In mehr als 70 Ländern stärken wir Unternehmen und Partner bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für Menschen, Technologie und Umwelt. www.tuev-nord-group.com |
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