Hinter schweizerischen KMU liegt ein ereignisreiches Geschäftsjahr 2020. Die oberste Geschäftsführung muss sich derzeit nebst dem Tagesgeschäft um die Jahresabschlussarbeiten und das Budget kümmern. Das gilt auch für Personengesellschaften und Selbstständigerwerbende, sofern sie im Handelsregister eingetragen sind. Dabei stellt sich die Frage, ob die durch Corona verursachten anhaltenden Unsicherheiten einen Einfluss auf die Erstellung der Jahresrechnung haben und wenn ja, ob Massnahmen zu ergreifen sind. Für die meisten KMU in der Schweiz ist der ordentliche Stichtag für die Erstellung der Jahresrechnung der 31. Dezember des Geschäftsjahres. Aktiengesellschaften und GmbHs müssen ihre Jahresrechnung innert 6 Monaten seit dem Bilanzstichtag erstellen und der General- bzw. Gesellschafterversammlung zur Genehmigung vorlegen. Existiert eine Revisionsstelle, muss diese zunächst die Jahresrechnung revidieren, was bei der zeitlichen Planung zu berücksichtigen ist.
Die genannte Frist von 6 Monaten ist indes eine reine Ordnungsvorschrift und deren Verletzung zieht keine unmittelbaren Nachteile nach sich. In der Praxis üben immerhin die finanzierenden Banken und die Revisionsstelle einen gewissen Druck aus, wenn die Jahresrechnung nicht rechtzeitig vorliegt. Aus rechtlicher Sicht stellt die verspätete Erstellung der Jahresrechnung insofern ein Risiko dar, als dass der obersten Geschäftsführung der Vorwurf gemacht werden kann, sie hätte nicht rechtzeitig erkannt, wie schlecht es finanziell um das Unternehmen steht. Besteht nämlich sog. begründete Besorgnis einer Überschuldung, muss sofort reagiert werden. Und nicht nur dann, wenn die Überschuldung offensichtlich ist. Anhaltende Geschäftsverluste, knappe Liquidität oder unsichere wirtschaftliche Entwicklungen verpflichten die oberste Geschäftsführung zur genauen Prüfung der finanziellen Lage. Nur wenn zumindest eine provisorische Jahresrechnung rasch erstellt wird, kann einigermassen beurteilt werden, ob per ordentlichem Bilanzstichtag dringender Handlungsbedarf besteht. Alleine der Umstand, dass während einer gewissen Zeit die Liquidität noch ausreicht und daher nicht unmittelbar die Insolvenz droht, rechtfertig eine Verzögerung der Jahresabschlussarbeiten nicht. In vielen Konkursfällen stellt sich heraus, dass die letzte Liquidität planlos oder für aussichtslose Stabilisierungsmassnahmen verwendet wurde, anstatt für ein professionelles Sanierungskonzept. Ein solches kann aber nur erarbeitet werden, wenn die Geschäftsführung alle Fakten kennt. Das Corona-Jahr war für die meisten KMU ein schwieriges und einiges deutet darauf hin, dass noch längere Zeit mit Widrigkeiten im Geschäftsalltag zu rechnen ist. Dies alleine verpflichtet die oberste Geschäftsführung, sich sehr rasch ein Bild über das vergangene Jahresergebnis und die Zukunft zu machen. Eine Pflicht, die übrigens nicht nur am Jahresende besteht, sondern während des ganzen Geschäftsjahres. Bleibt die Geschäftsführung untätig oder reagiert sie zu spät, droht im schlimmsten Fall die Haftung aus Konkursverschleppung oder die Bestrafung wegen ungetreuer Geschäftsführung und Misswirtschaft. Dabei handelt es sich nicht um Kavaliersdelikte. Die kantonalen Staatsanwaltschaften gehen seit einigen Jahren entsprechenden Anzeigen der Konkursbehörden konsequent nach. Geschäftsverluste müssen durch ausreichendes Eigenkapital kompensiert werden können, andernfalls die Überschuldung und damit der Konkurs droht. Die Höhe des Eigenkapitals hängt unmittelbar von der Bewertung der Aktiven und Passiven ab. Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen zwei möglichen Szenarien in der Rechnungslegung, nämlich sog. Fortführungsund Liquidationswerte. Letztere sind wesentlich schlechter für die Zwecke der Jahresrechnung, da Aktiven in einer Liquidation regelmässig weniger werthaltig sind und die Passiven wegen der Liquidationsrückstellungen ansteigen. Eine Umstellung auf Liquidationswerte führt daher in der Praxis in den meisten Fällen sofort in eine Überschuldungssituation, weshalb wichtig ist zu verstehen, an welche Bedingungen das Prinzip der Fortführung geknüpft wird. Es ist Sache der obersten Geschäftsführung festzustellen, ob die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens gegeben ist. Dabei besteht ein gewisses Ermessen. Dieses muss pflichtgemäss ausgeübt werden. D.h. die oberste Geschäftsführung muss ausreichende Informationen beschaffen, diese analysieren (allenfalls unter Beizug von Spezialisten) und basierend auf dem Analyseergebnis frei von Interessenskonflikten entscheiden. Das Handbuch der Wirtschaftsprüfung nennt diverse typische Risiken, welche die Fortführungsfähigkeit eines Unternehmens gefährden. Es ist daher aus Sicht der Geschäftsführung zu prüfen, ob diese Risiken auf das Unternehmen zutreffen und welchen Einfluss sie haben könnten. Die wichtigsten Risiken sind konjunkturelle Entwicklungen und (finanz-) politische Massnahmen. Von Bedeutung sind sodann Branchen- und Wettbewerbsrisiken. An erster Stelle stehen aber betriebliche- und finanzielle Risiken, die sich durch ungünstige Umsatz- und Gewinnentwicklungen ergeben können. Die Geschäftsführung hat daher ein Budget und einen Liquiditätsplan für mindestens 12 Monate zu erstellen und diese Dokumente regelmässig zu überprüfen. Haben COVID-Massnahmen einen unmittelbaren oder mittelbaren Einfluss auf die Geschäftsentwicklung, ist diesem Umstand im Budget und in der Liquiditätsplanung besondere Rechnung zu tragen. Liquiditätsengpässe sind rechtzeitig zu überbrücken, sofern sie nicht durch betriebliche Restrukturierungsmassnahmen behoben werden können. Solche Massnahmen müssen aber realistisch und aussichtsreich sein. Die Beurteilung kann aber im Einzelfall schwierig sein und die Geschäftsführung setzt sich einem Haftungsrisiko aus, wenn betriebliche Restrukturierungs- und Sanierungsmassnahmen nachträglich (z.B. von Gerichten) für offensichtlich untauglich erklärt werden. Es empfiehlt sich daher, bei Unsicherheiten Restrukturierungs- und Sanierungsspezialisten zu konsultieren, welche unvoreingenommen die Lage des Unternehmens analysieren und Vorschläge unterbreiten. Entsprechende Vorarbeitenwerden in der Regel auch von Banken oder Spezialfinanzierern gefordert, wenn Sie für Refinanzierungen oder Überbrückungskredite angefragt werden. Insofern gewinnt das Unternehmen wertvolle Zeit, wenn es frühzeitig Sanierungsanalysen erstellt. Die entsprechenden Kosten halten sich in Grenzen. Diverse Restrukturierungsberater haben wegen COVID spezielle Angebote für kleinere KMU entwickelt oder arbeiten mit Branchenverbänden zusammen. Diese Berater verfügen auch über das nötige Netzwerk, um rasch mit Banken oder Investoren ins Gespräch zu kommen. Letztlich entscheidet aber der Faktor Zeit über den Erfolg- oder Misserfolg von Sanierungsmassnahmen. Es bleibt daher zu hoffen, dass KMU ganz allgemein, aber besonders in Zeiten von COVID, unmittelbar nach dem ordentlichen Bilanzstichtag ihre Jahresrechnungen für das vergangene Jahr und das Budget sowie die Liquiditätsplanung für das laufende Jahr erstellen und bei erkannten Problemen nicht auf das Prinzip Hoffnung setzen, sondern mit dem Schlimmsten rechnen. Die Praxis zeigt, das frühzeitiges Handeln die Chancen der Betriebsfortführung erhöhen, sodass Unternehmen und ihre Arbeitsplätze erhalten bleiben. Autor: Georg J. Wohl ist Partner bei Baur Hürlimann Rechtsanwälte in Zürich und Spezialist für Rechnungslegungsrecht, Sanierungen und Finanzierungen. BAUR HÜRLIMANN · RECHTSANWÄLTE Telefon 044 218 77 77 [email protected] · www.bhlaw.ch
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